Bild 29: Variantionsmöglichkeiten des Streifenziehversuchs
Um diese Zusammenhänge zu untersuchen, wurden am Institut des Autors
alle drei Prinzipien auf einer Anlage unter identischen Bedingungen verglichen.
Vier Bleche unterschiedlicher Topografie wurden ausgewählt und mit
diesen Prinzipien beurteilt.
Als Meßgrößen dienen die maximale Kontaktnormalspannung
/ Rückhaltespannung und die Gleitreibungszahl. Die Möglichkeiten,
die Gleitreibungszahl zu bestimmen und auszuwerten sind in der Literatur
ausführlich beschrieben [66, 85, 86, 96]. Die maximale Kontaktnormalspannung
/ Rückhaltespannung wird im folgenden kurz erläutert.
Erläuterungen zur maximalen Kontaktnormalspannung
Im Flachbahnversuch erhöht man die Kontaktnormalspannung schrittweise.
Bei jeder Stufe können verschiedene Gleitgeschwindigkeiten eingestellt
werden, um die Reibungszahlen unter verschiedenen Beanspruchungsbedingungen
zu messen. Die maximale Kontaktnormalspannung ist erreicht, wenn das Blech
die Haftreibung nicht mehr überwinden kann und reißt.
Schon bei deutlich geringeren Kontaktnormalspannungen als der maximalen
wird das Blech plastisch gedehnt. Das Fließen beginnt im gesamten
Bereich zwischen den Werkzeugen und dem Teil der Anlage, in dem die Zugkraft
aufgebracht wird. Durch die Dehnung verfestigt das Blech, und die Zugkraft
steigt. Im Bereich der Gleichmaßdehnung wird die Blechbreite dabei
kontinuierlich verringert. Mit steigender Zugkraft beginnt das Blech am
Auslauf aus den Werkzeugen zu gleiten. Am Einlauf haftet das Blech noch,
so daß es unter den Werkzeugen gedehnt wird. Die Fließscheide
wandert mit steigender Zugkraft vom Auslauf zum Einlauf (Bild 30).
Bild 30: Dehnung des Bleches bei Erreichen der maximalen Kontaktnormalspannung
im Streifenziehversuch in der Flachbahn
Wie im Stand der Erkenntnisse (Kapitel 2) beschrieben, glättet
das Blech unter dieser Beanspruchung durch Kontaktnormalspannung bei gleichzeitiger
Dehnung des Grundwerkstoffs deutlich ein. Ist auf dem Blech eine Topografie
vorhanden, die bei deutlicher Einglättung eine niedrige Reibung aufweist,
dann kann die Reibungskraft vom Blech noch übertragen werden, und
das Blech beginnt zu gleiten. Bei einer Topografie, die im eingeglätteten
Zustand zu hoher Reibung führt, reißt das Blech.
Die maximal erreichbare Kontaktnormalspannung ist damit ein Maß
für die Reibung der bei Dehnung des Grundwerkstoffs eingeglätteten
Topografie.
In realen Werkzeugen läuft vor der Entstehung von Einschnürungen
oder Reißern ein vergleichbarer Prozeß ab. An einer hoch beanspruchten
Stelle des Werkzeugs wird das Blech durch Kontaktnormalspannung beansprucht
und gedehnt. Die Topografie glättet ein, und wenn die Reibung der
eingeglätteten Topografie zu hoch ist, reißt das Bauteil.
Die Gleitreibung bei niedrigeren Kontaktnormalspannungen kann zwar
ebenfalls den Materialfluß beeinflussen, zur Beurteilung des Versagens
des Bauteils ist nach dieser Überlegung aber die maximale Kontaktnormalspannung
geeigneter.
Mit Streifenziehversuchen, bei denen das Blech mit einer Seite auf einer
festen Unterlage aufliegt, kann die Dehnung des Bleches nicht berücksichtigt
werden. Der häufig angegebene Vorteil, daß auf Anlagen mit einseitigem
Werkzeugkontakt auch einseitig beschichtete Bleche untersucht werden können,
ist nur dann vorhanden, wenn bei Anlagen mit beidseitigem Werkzeugkontakt
nicht beide Werkzeuge mit Reibungskraftsensoren versehen sind.
Werden mit dieser Methode verschiedene Bleche verglichen, dann ist
zu berücksichtigen, daß sowohl die Blechdicke als auch die Zugfestigkeit
des Materials die maximale Kontaktnormalspannung beeinflussen. Ein dickeres
Blech mit höherer Festigkeit führt bei gleichen tribologischen
Eigenschaften zu einer höheren maximalen Kontaktnormalspannung. In
einer Versuchsreihe dürfen deshalb nur Bleche vergleichbarer Dicke
und Zugfestigkeit beurteilt werden.
Im Umlenk- und Ziehsickenversuch wird die Kontaktnormalspannung zwischen
Blech und Werkzeug über die Rückhaltespannung im Blech eingestellt.
Höhere Rückhaltespannungen führen zu höheren Kontaktnormalspannungen
über den Radien. Von einer bestimmten Rückhaltespannung an wird
die Reibung so groß, daß das Blech die Rückhaltekraft
und dazu die Reibung in den Radien nicht mehr übertragen kann und
reißt. Je höher die erreichbare Rückhaltespannung liegt,
desto niedriger ist die Reibung der in den Radien eingeglätteten Topografie.
Die Versuchsbedingungen der Voruntersuchungen mit den drei Varianten
des Streifenziehversuchs sind in Tabelle 31 im Anhang aufgeführt.
Bild 31 enthält die auf das EDT-Blech bezogenen maximalen Spannungen.
Bild 31: Vergleich von Streifenziehversuchen bei der Beurteilung
von Blechen unterschiedlicher Topografie
Für den Flachbahnversuch werden von links nach rechts geringere
Kontaktnormalspannungen erreicht. Links sind die Topografien demnach als
günstiger zu beurteilen. Im Umlenkversuch sind die Bleche kaum zu
unterscheiden. Der Grund für die geringe Differenzierung im Umlenkversuch
ist in der kleinen Werkzeugfläche zu vermuten. Das Blech hat zwar
eine Breite von 100 mm, in Zugrichtung liegt es aber nur über ca.
8 mm auf dem Radius der Umlenkwerkzeugs an. Dadurch sind die Reibkräfte
im Verhältnis zu den Umformkräften gering, und Ungenauigkeiten
in der Messung wirken sich stark aus.
Im Ziehsickenversuch liegt das Blech über eine längere Strecke
am Werkzeug an als im Umlenkversuch, was zu einer deutlicheren Differenzierung
führt. Die Reihenfolge der Bleche entspricht bis auf Blech LT2 dem
Ergebnis aus dem Flachbahnversuch. Eine Erklärung für die günstigere
Reibung von Blech LT2 in der Ziehsicke kann in den großen Spitzen
der Topografie liegen. Durch die moderaten Kontaktnormalspannungen im Flachbahnversuch
glätten diese Spitzen nicht weit genug ein, um die Reibung durch hydrostatisch
wirkende Schmiertaschen und Quetschströmung zu senken. Unter den höheren
Kontaktnormalspannungen im Ziehsickenversuch ist die Einglättung stärker,
die reibungssenkenden Mechanismen können wirken, und die Haftreibung
sinkt.
Zur Beurteilung der Gleitreibung, wurden die Reibungszahlen berechnet
(Bild 32). In den bei Umlenk- und Ziehsickenversuch gemessenen Kräften
sind sowohl Anteile aus der Reibung als auch aus der Biegung des Bleches
enthalten. Um die Anteile zu trennen, wurden beide Versuche sowohl mit
feststehenden Werkzeugen als auch mit nahezu reibungsfreier Umlenkung über
Walzen durchgeführt. Die Differenz der Zugkraft von reibungsbehaftetem
und reibungsfreiem Versuch entspricht der Reibungskraft. Zur Berechnung
der Reibungszahl diente die Eytelweinsche Gleichung [66].
Es ist bekannt, daß diese Gleichung die lokalen Kontaktverhältnisse
über dem Radius nicht realistisch abbildet [86, 69, 77]. Sie
stellt aber die einzige Möglichkeit dar, zumindest eine mittlere Reibungszahl
über dem Radius zu bestimmen.
Bild 32: Vergleich der Reibungszahlen in unterschiedlichen Streifenziehversuchen
Die Gleitreibungszahl ist bei Umlenk- und Ziehsickenversuch deutlich
höher als im Flachbahnversuch. Im allgemeinen sind die Kontaktnormalspannungen
im Umlenkversuch höher als in der Flachbahn. Höhere Kontaktnormalspannungen
führen aber meist zu niedrigeren Reibungszahlen [96, 117]. Eine mögliche
Erklärung ist, daß die Topografie durch die Biegespannungen
im Blechwerkstoff deutlich stärker einglättet, was zu einer größeren
wahren Kontaktfläche und damit zu einer erhöhten Reibungszahl
führt. Das Niveau der Gleitreibung liefert bei den unterschiedlichen
Prinzipien keine vergleichbare Rangfolge.
Folgerungen
Tabelle 16: Pro und Kontra verschiedener Varianten des Streifenziehversuchs