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2.4 Oberflächenwandlung


Bild 5: Untersuchungen zur Oberflächenwandlung während der Umformung

Bowden und Tabor gehen von einem Ansatz aus, bei dem die Kontaktfläche linear mit der Kontaktnormalspannung ansteigt [182] (junction growth equation). Kragelski [139] erweitert dieses Modell, und weiterführende Ansätze berücksichtigen Hertz´sche Spannungszustände bei der Berührung einzelner Rauheitserhebungen [140] sowie elastisch-plastisches Werkstoffverhalten. Archad [141] zeigt, daß nicht nur die wahre Kontaktfläche die Reibung beeinflußt, sondern auch Verteilung und Größe der Kontaktstellen. Greenwood und Williamson untersuchen die Anzahl der Mikrokontakte und entwickeln ein Modell zur Beurteilung der Anteile von elastisch und plastisch deformierten Kontaktstellen [142].
Die grundlegenden Zusammenhänge zwischen der Verformungsgeschichte und deren Auswirkungen auf die Bauteiloberflächen wurden von Kienzle und Mietzner in ihrem Oberflächenatlas dokumentiert. Zur Untersuchung der freien Oberflächenwandlung [143] schlagen sie die Rauhleiter vor, eine Zugprobe mit kurviger Seitenbegrenzung, die es ermöglicht, die Aufrauhung bei unterschiedlichen Dehnungen an einer einzelnen Probe zu messen [144, 64].
Greenwood und Rowe [145] sowie Fogg [146] beschreiben, daß ein Grundwerkstoff, der sich im plastischen Fließen befindet, die Spitzen der Rauheit nicht so gut unterstützen kann wie ein rein elastisch nachgebender. Eine Topografie auf einem plastisch fließenden Grundwerkstoff glättet demzufolge stärker ein, als eine Topografie auf einem ungedehnten Blech.
Wanheim und Bay [99, 136, 147, 148] nutzen die Gleitlinienmethode und Experimente, um diesen Effekt näher zu untersuchen. Nebeneinanderliegende und ineinander übergehende Spitzen beeinflussen sich bei der Einglättung gegenseitig. Die Spitzen der Topografie werden eingeglättet und die Täler angehoben. Die Flankenwinkel der Topografie ändern sich dabei kaum. Mit zunehmendem Reibweg glättet die Topografie stärker ein, was mit dem Herausquetschen des Schmierstoffs aus den von Wiegand und Kloos [108] beschriebenen abgeschlossenen Schmiertaschen erklärt wird. Die Viskosität des Schmierstoffs beeinflußt die Schmierstoffmengen, die beim ersten Kontakt zwischen Werkzeug und Werkstück eingeschlossen und während des Gleitens in der Wirkfuge gehalten werden.
Für geringe Kontaktnormalspannungen stellt Bay nur geringe Einglättungen fest und schließt daraus, daß der Schmierstoff unter den in der Blechumformung üblichen Bedingungen ungehindert aus der Kontaktzone entweichen kann und die wahre Kontaktfläche nicht beeinflußt.
Bei rauhen Werkzeugen beschreibt Avitzur zusätzlich zu dem Mechanismus des Pflügens (Furchens) der Werkstückoberfläche das sogenannte wave model [149]. Vor einer Spitze der Werkzeugrauheit kann Werkstückmaterial wie zu einer Bugwelle angehäuft und verschoben werden. Bei zu steilen Winkeln der Werkzeugrauheit werden die Blechspitzen abgeschert.
Kawai, Kondo, Nakamura [150] verwenden ein Lichtmikroskop, um die Größe der wahren Kontaktfläche zu beurteilen. Bei Proben an Näpfen stellen sie eine 2,5 bis 3 mal höhere Einglättung fest als bei Streifenziehversuchen und führen das auf die höhere Plastifizierung des Grundwerkstoffes bei den Näpfen zurück.
Sengupta, Fogg und Ghosh [109] bestätigen den Einfluß der Zugspannungen im Grundwerkstoff auf die Einglättung beim Ziehen eines Napfes. Für den Bereich des Stempelbodens weisen sie nach, daß die Topografie bereits bei niedrigen Flächenpressungen weit einglätten kann, wenn kein tragfähiger Schmierfilm vorhanden ist. Versuche mit Ziehfolien und hohen Gleitgeschwindigkeiten zeigen bei gut tragendem Schmierfilm unter sonst gleichen Bedingungen eine Aufrauhung des Bleches. In Streifenziehversuchen mit überlagerter Zugspannung stellen sie einen sprunghaften Anstieg der Kontaktfläche und der Reibungszahl fest, sobald das Blech plastisch gedehnt wird und infolgedessen stärker einglättet. Wie deutlich dieser Sprung ausgeprägt ist, hängt von der Gleitgeschwindigkeit ab. Mit zunehmender Gleitgeschwindigkeit wird der Sprung der Reibungszahl geringer. Sengupta, Fogg und Ghosh erweitern die junction growth equation von Bowden und Tabor um den Einfluß des Spannungszustandes in Blechebene. Ihre Härtemessungen zeigen, daß die Kaltverfestigung des Grundwerkstoffs unter freier Dehnung kaum auf die oberflächennahen Bereiche übertragen wird. Erst bei zusätzlichem Werkzeugkontakt oder vorhandenem Schmierstoffdruck verfestigen auch die Körner an der Oberfläche.
Mössle [151] hat die freie und die gebundene Umformung beim Ziehen von Näpfen aus Aluminium untersucht. Den größten Einfluß auf die entstehende Oberfläche realer Ziehteile sieht er in der freien Umformung und der Aufrauhung der Oberfläche. Höhere Viskosität des Schmierstoffs führt zu einem dickeren Schmierfilm und damit zu einer größeren Aufrauhung. Ohne einen tragenden Schmierfilm glättet Aluminium, wie die Untersuchungen von Emmens zeigen, wesentlich stärker ein als Stahl [134].
Zusätzlich zu den Effekten der Aufrauhung und Einglättung beschreiben Keller und Reissner [32], daß in Matrizenrundungen Druckspannungen an der Innenfaser das Leervolumen der Topografie verringern können. Dadurch wird Schmierstoff in die Wirkfuge gedrückt und senkt die Reibung.
Schedin führt FE-Simulationen der Einglättung einzelner Rauheitsspitzen an 2D-Modellen durch [152]. Auch seine Ergebnisse zeigen, daß unter den Bedingungen der Blechumformung die Dehnung des Grundwerkstoffs einen deutlich größeren Einfluß auf die Einglättung hat als die Kaltverfestigung und die Reibschubspannung. Die größten Unsicherheiten bei der Berechnung der Oberflächenwandlung sieht er in der fehlenden Möglichkeit, die Aufrauhung zu simulieren.
Um den zweiachsialen Spannungszustand in Blechebene zu berücksichtigen, nutzen Prier und Bünten für ihre FE-Simulationen 3D-Modelle [153, 183]. Bünten simuliert das Übertragen der Struktur der Dressierwalze auf das Blech, und Prier verwendet diese Geometrien sowie die Daten der lokalen Kaltverfestigung für die Berechnung der Einglättung während der umformenden Weiterverarbeitung.
Die Ergebnisse zeigen, daß unter dem im Flansch eines Tiefziehteils üblichen Zug-Druck-Spannungszustand die Topografie weniger einglättet als unter ein- oder zweiachsigem Zug. Der Schwerpunkt der Untersuchungen von Prier liegt auf der Optimierung der Geometrie einzelner Schmierstoffkrater. Er beurteilt Topografien als günstig, die bereits bei geringer Last zu einem linear mit der Kontaktnormalspannung ansteigenden verdrängten Leervolumen führen. Dazu sollte die Berandung der Schmierstoffkrater über die Blechgrundfläche herausragen und im oberen Teil einen möglichst großen Steigungswinkel besitzen.
Sutcliffe berechnet die Einglättung von Oberflächen mit lang- und kurzwelligen Anteilen [154, 155]. Die langwelligen Anteile glätten unter Kontaktnormalspannung und gleichzeitiger Dehnung des Grundwerkstoffs deutlich stärker ein als die kurzwelligen. Er schließt daraus, daß die längerwelligen Anteile während der Umformung eingeglättet werden und die kurzwelligen Anteile das tribologische Verhalten bestimmen.
Folgerungen
Ohne Werkzeugkontakt oder mit einem wirksamen Schmierfilm rauht die Topografie infolge freier Dehnung auf, während bereits geringe Kontaktkräfte zwischen Werkzeug und Blech zu einer deutlichen Einglättung führen können. Berechnungen mit der Gleitlinienmethode oder Finiten Elementen liefern Erkenntnisse über die Einflüsse von Spannungs- und Dehnungszuständen, die meßtechnisch nicht zugänglich sind und ermöglichen ein verbessertes Verständnis der Oberflächenwandlung.
Die Ergebnisse lassen folgende Schlüsse zu:

Offen bleibt die Frage, welche Bereiche eines Bauteils welcher Oberflächenwandlung unterworfen sind und wann für die Berechnung funktionsorientierter Oberflächenkenngrößen folgende Maßnahmen zulässig sind:

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