zur Homepage von Johannes Staeveszum vorherigen Kapitelzum Inhaltsverzeichniszum nächsten Kapitelzum PtU

7.1 Auswahl der Oberflächenkenngrößen

Aus der großen Zahl von berechenbaren 2D- und 3D-Oberflächenkenngrößen sollen diejenigen ausgewählt werden, die nach den Überlegungen aus Kapitel 5 eine Beurteilung der funktionsrelevanten Eigenschaften ermöglichen. Die Vor und Nachteile vieler Kenngrößen sind noch nicht bekannt. In diesem Kapitel wird deshalb noch eine relativ große Anzahl von Kenngrößen ausgewählt, um ihre Eignung vergleichen zu können. Ziel ist es letztlich, einen möglichst kleinen Satz von Oberflächenkenngrößen festzulegen, mit dem alle funktionsrelevanten Eigenschaften der Oberfläche quantifiziert werden können.
Die Standard-Kenngrößen zur Beschreibung der Topografie von Blechen sind der Mittenrauhwert Ra und die Spitzenzahl PC. Sie stellen die Referenz für die Beurteilung anderer Kenngrößen dar. PC kann als Maß für die Feinheit genutzt werden, Leere und Abgeschlossenheit lassen sich mit diesen Kenngrößen nicht beschreiben.

Abgeschlossenheit
Die Abgeschlossenheit ist, wie in Kapitel 2.5.3 dargestellt, nur über 3D-Messungen erfaßbar. Die Oberflächenkenngröße aclm (Maximum des geschlossenen Leerflächenanteils) quantifiziert den größtmöglichen Anteil abgeschlossener Leerflächen, in denen hydrostatisch Druck aufgebaut werden kann. Sie beschreibt eine Kombination der Eigenschaften Abgeschlossenheit und Leere und bietet sich zur Beurteilung hydrostatisch wirkender Schmiertaschen an, für die abgeschlossene und leere Topografien erforderlich sind. Die Oberflächenkenngröße cclm wird berechnet, um zu überprüfen, welchen Einfluß die Schnittiefe, bei der das Maximum der geschlossenen Leerflächenanteile vorliegt, auf das tribologische Verhalten hat. Das geschlossene Leervolumen Vcl wird ebenfalls ermittelt, da diese Kenngröße sich in vorangegangenen Untersuchungen zur Beurteilung des erforderlichen Mindestvolumens als geeignet erwiesen hat.

Leere
Die Leere einer Topografie ist mit Kenngrößen wie dem Profilleeregrad quantifizierbar. In Kapitel 5.3 wurde festgestellt, daß es erforderlich sein kann, die Leere über mehrere Kenngrößen genauer zu beurteilen. Die Rk-Kenngrößen bieten sich dazu an, da sie den Verlauf der Materialanteilkurve mit drei Geraden annähern und mit wenigen Kenngrößen abbilden können.
Im folgenden wird erläutert, daß die an einer 2D-Messung berechnete Materialanteilkurve der an einer 3D-Messung berechneten entspricht. Für die Auswahl der Kenngrößen ist die Art der Messung deshalb unerheblich.

Für alle Kenngrößen, die aus der Materialanteilkurve abgeleitet werden können, sind deshalb keine 3D-Messungen notwendig. Beispiele für solche Kenngrößen sind in  Tabelle 17 aufgeführt.


Tabelle 17: 2D- und 3D-Oberflächenkenngrößen gleichen Informationsgehalts

Im Rahmen dieser Arbeit werden die Rk-Kenngrößen an 3D-Messungen berechnet, da sie aufgrund der höheren Meßpunktezahl mit eine größere statistische Sicherheit bieten und nicht die Gefahr beinhalten, daß ein für die Oberfläche nicht repräsentativer Schnitt ausgewertet wird.

Feinheit
Die Feinheit der Topografie wird durch die Spitzenzahl PC quantifiziert. Die Methode zur Bestimmung dieser Spitzenzahl nach SEP 1940 verwendet feste Schnittiefen, die über- bzw. unterschritten werden müssen, damit eine Rauheitserhebung als Spitze gezählt wird. Die festen Schnittiefen führen zu einer Abhängigkeit der ermittelten Spitzenzahl von der Höhe der Rauheit. Hinzu kommt, daß in einer 2D-Messung eine echte Spitzenzählung nicht möglich ist (Kapitel 2.5.3). Die in [168] vorgeschlagene 3D-Methode zur Spitzenzählung berücksichtigt nicht, in welcher Tiefe die Spitzen liegen. Diese Spitzenzählmethode verspricht wenig Erfolg. Die in [175] vorgeschlagene Methode berücksichtigt die Lage der Spitzen. Zusätzlich zu PC wird deshalb die Anzahl der Materialflächen (Nma) sowie der offenen (Nvo) und geschlossenen Leerflächen (Ncl) anhand von 3D-Messungen berechnet.
 

Zur Beurteilung der Leere und der Feinheit stehen in der Literatur damit genug erfolgversprechende Kenngrößen zur Verfügung. Die Kenngrößen zur Quantifizierung der Abgeschlossenheit werden aus den folgenden Gründen noch ergänzt:

  1. Je nach Topografie liegt das Maximum der abgeschlossenen Leerflächenanteile in unterschiedlichen Durchdringungen (Tiefen) cclm. Die Oberflächenkenngröße  aclm berücksichtigt nicht, ob die  Oberfläche während der Umformung tatsächlich bis zur Durchdringung cclm einglättet, oder ob nur geringere Durchdringungen und abgeschlossene Leerflächenanteile erreicht werden. In einen früheren Forschungsprojekt [77] wurde festgestellt, daß alle dort untersuchten Bleche bei den Beanspruchungsbedingungen im Streifenziehversuch bis zu einem charakteristischen Materialanteil von ca. 20% einglätteten. Neben aclm sind deshalb im folgenden auch die Leervolumina,  Spitzen- und Talzahlen bei festen vorgegebenen Materialanteilen ama von 1, 2, 5, 10, 20, 30, 40 und 50% berücksichtigt.
  2. Liegen Schmiertaschen in unterschiedlichen Schnitttiefen, dann können hochliegende Schmiertaschen während der Umformung nach unten gedrückt werden und auch bei starker Einglättung zur Senkung der Reibung beitragen. Die Oberflächenkenngröße aclm berücksichtigt die über der Schnitttiefe cclm liegenden Schmiertaschen nicht (Bild 35).


  3. Bild 35: Einfluß einglättender Schmiertaschen auf den geschlossenen Leerflächenanteil.

    Um die höher liegenden Schmiertaschen mit einzurechnen, wird die Oberflächenkenngröße aclf definiert. Sie gibt den Anteil abgeschlossener Leerflächen als Funktion der Durchdringung einschließlich der höherliegenden Schmiertaschen an. Die Kenngröße aclf ist der Maximalwert der Kurve bei einer Durchdringung von 100 %. Die Methode zur Berechnung ist im Anhang (Kapitel 13.2.1) beschrieben.
     

  4. Die Größe der Meßfläche beeinflußt die Werte von aclm, Vcl und cclm. Auch wenn die Ergebnisse für ausreichend große Meßflächen korrelieren, ist die Methode zur Bestimmung dieser Kenngrößen nicht korrekt, da sie die am Rand liegenden Leerflächen als offen wertet, auch wenn sie sich bei größerer Meßfläche als geschlossen erweisen. Einen mathematisch korrekten Ansatz für dieses Problem bietet die Perkolationstheorie [194]. Eine hochliegende horizontale Schnittfläche durch die Topografie schneidet im allgemeinen nur Spitzen, so daß ein zusammenhängendes Leervolumen berechnet wird. Schmierstoff kann von einer Seite des Meßrandes zur anderen fließen, die Perkolation (das Hindurchfließen) ist möglich. In einem tieferen Schnitt wird so viel Material geschnitten, daß kein zusammenhängendes Leervolumen mehr vorhanden ist. Schmierstoff kann ab dieser Durchdringung nicht mehr von einer Seite der Meßfläche zur anderen fließen. Der Übergang erfolgt plötzlich und bei einer charakteristischen Durchdringung, die als Perkolationstiefe p bezeichnet wird. Ab dieser Perkolationstiefe ist das Leervolumen geschlossen. Der Schmierstoff kann seitlich nicht mehr entweichen so daß bei weiterer Einglättung hydrostatischer Druck aufgebaut wird. Die Perkolationstiefe ist ein Maß für die Abgeschlossenheit der Topografie. Zum Anteil der hydrostatisch tragenden Flächen trägt ab dieser Tiefe die gesamte Leerfläche avo(p) bei, auch die am Rand der Meßfläche liegenden Leerflächen. Wie für die Methode zur Bestimmung von aclm ist auch für diese Methode eine Mindestgröße der Meßfläche notwendig, sie liegt aber deutlich niedriger. In Kapitel 8 wird überprüft, ob die Abgeschlossenheit auch mit der Kenngröße avo(p) anstelle von aclm beurteilt werden kann. Ist dies der Fall, dann reichen eventuell auch kleinere Meßflächen zur Beurteilung der Abgeschlossenheit aus.

  5. Die Welligkeit hat einen deutlichen Einfluß auf aclm. Der Wert von aclm hängt wie in früheren Untersuchungen des Autors gezeigt [195, 137], deutlicher von der Filterung ab als andere Kenngrößen. Dieser Effekt wird am Beispiel von zwei Modelloberflächen veranschaulicht. Bild 36 zeigt die gleiche Modelloberfläche oben mit "Wellenberg" und unten mit "Wellental".
    Bild 36: Einfluß der Welligkeit auf den berechneten Anteil geschlossener Leerflächen

    In der oberen Fläche wird der höchste Wert für aclm bei einer Schnittiefe knapp unter dem höchsten Punkt der Topografie berechnet. Der maximale abgeschlossene Leerflächenanteil beträgt etwa 40%. Im zweiten Fall berührt die Schnittfläche knapp unter dem höchsten Punkt nur den Rand der Topografie. Die gesamte Leerfläche im Inneren ist durch den nach oben gewölbten Rand abgeschlossen, so daß für aclm ein Wert von 100% berechnet wird.
    Dieses Beispiel verdeutlicht, daß auch eine beliebig geringe Welligkeit den Wert von aclm entscheidend verfälschen kann und daß die Methode zur Berechnung von aclm nicht stabil ist. Die in Kapitel 7.4 auszuwählenden Filter dienen dazu, die Welligkeit so weit wie möglich aus den Meßdaten herauszurechnen.

Für die Beschreibung der geometrischen Eigenschaften der Topografie werden aufgrund dieser Überlegungen die in Tabelle 18 zusammengefaßten Kenngrößen ausgewählt. Die Algorithmen zur Berechnung der neu entwickelten Kenngrößen aclf und Perkolationstiefe werden im Anhang (Kapitel 13.2) beschrieben.

Tabelle 18: Ausgewählte Oberflächenkenngrößen

zur Homepage von Johannes Staeveszum vorherigen Kapitelzum Inhaltsverzeichniszum nächsten Kapitelzum PtU