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5.2.4 Makro- und Mikro-Quetschströmungen

Ein weiterer hydrodynamischer Effekt ist zu beobachten, wenn der Niederhalter auf das Blech aufsetzt und den Schmierstoff seitlich verdrängt. Je mehr Schmierstoff  verdrängt wird, desto dünner wird der Spalt zwischen Blech und Werkzeug und desto mehr Widerstand muß zum Verdrängen des verbleibenden Schmierstoffs überwunden werden. Im Fall ideal glatter Werkzeug- und Blechoberflächen berührt das Werkzeug das Blech nie. Bei rauhen Oberflächen endet das Verdrängen des Schmierstoffs wenn die Kontaktnormalspannung von der wahren Kontaktfläche und vom Druck in abgeschlossenen Schmiertaschen komplett getragen wird. Die Zeit, die bei vorgegebener Kontaktnormalspannung in realen Ziehteilen für diese Einglättung benötigt wird, hängt von der Größe der beanspruchten Fläche, der Viskosität des Schmierstoffs und der Topografie ab. Im mechanisch rheologischen Modell [180, 181] wird dieser Mechanismus durch die offenen hydrodynamischen Schmiertaschen abgebildet.
Einen Ansatz zur Abschätzung bietet die Berechnung der Quetschströmung zwischen einer Platte und einem Stempel mit runder Querschnittsfläche [187, 188].
Gleichung 5
Im folgenden Diagramm sind Verläufe der Schmierfilmdicke über der Zeit für ausgewählte Stempelradien R und mittlere Stempel-Flächenpressungen  dargestellt.

Bild 21: Verlauf der Schmierfilmdicke für unterschiedliche Stempeldurchmesser und Flächenpressungen

Bei kleinen Kontaktflächen in der Größenordnung einzelner Rauheitsspitzen wird der Schmierstoff sehr schnell seitlich verdrängt. Bei sehr kurzen Kontaktzeiten, wie beim Impuls durch den Aufprall einer Kugel auf eine Platte wurde nachgewiesen, daß der Schmierfilm nicht unterbrochen wird [182]. Unter diesen Beanspruchungsbedingungen ist auch die Abhängigkeit der Viskosität des Schmierstoffs von Druck und Temperatur zu berücksichtigen. Die Beobachtung, daß beim Auftreffimpuls des Niederhalters die Topografie kaum einglättet, kann durch diesen Mechanismus erklärt werden [190].

Bei größeren homogen beanspruchten Bereichen im Werkzeug, wie unter dem Niederhalter (Bild 22) oder am Stempelboden, hat der Schmierstoff längere Strecken zurückzulegen, bis er entweichen kann. Bild 21 zeigt, daß je nach Flächenpressung und Größe der Kontaktfläche einige Zehntelsekunden benötigt werden, um den Schmierstoff zu verdrängen.
Versuche im Streifenziehversuch mit großen Werkzeugen (74 x 144 mm) ergaben, daß bei den kurzen für die Umformung benötigten Kontaktzeiten von Blech und Niederhalter dieser Effekt die Reibung deutlich beeinflussen kann.
In Bild 23 sind Reibungskraftverläufe im Streifenziehversuch bei Flächenpressungen von 2 und 6 N/mm² dargestellt.

Bild 23: Im Streifenziehversuch gemessene Reibungskraftverläufe für unterschiedliche Aufsetzzeitpunkte des Werkzeugs

Die Reibungskraft für "2 N/mm², laufend aufgesetzt" steigt an, bis sie nach 1,5 bis 2 Sekunden einen stationären Zustand erreicht. Die Kurve "2 N/mm², 5 min. Verweilzeit" stellt den Verlauf der Reibungskraft dar, nachdem das Werkzeug 5 Minuten ohne Gleitbewegung auf dem Blech auflag. Die Reibungszahl erreicht sofort den stationären Bereich. Für "6 N/mm² laufend aufgesetzt" erfolgt wie bei 2 N/mm² ein Anstieg der Reibungszahl über einen Zeitraum von ca. 1,5 Sekunden, um dann in den stationären Zustand überzugehen. Nach 5 Minuten Verweilzeit haftet das Blech zunächst, reißt los und gleitet mit deutlichen Stick-Slip-Effekten. Die übrigen Kurven sind nach Verweilzeiten des Werkzeugs von 0,5,  1,  5 und 30 Sekunden  gemessen worden.
Die Messungen bestätigen den Mechanismus der Quetschströmungen und die Ergebnisse der Berechnung. Je länger das Werkzeug vor dem Gleiten des Bleches aufliegt, desto mehr Schmierstoff kann seitlich verdrängt werden und desto höher ist die Haftreibung zu Beginn des Versuchs. Nach etwa 2 Sekunden hat sich weitgehend unabhängig von der Verweilzeit ein stationärer Bereich gebildet.
Bei offenen leeren Topografien kann der Schmierstoff durch die tiefliegenden breiten Kanäle schneller aus der Kontaktzone entweichen als bei geschlossenen vollen Topografien.
Neben der Haftreibung beeinflußt dieser Mechanismus auch die Gleitreibung. Sind im oberen Bereich der Topografie feine Spitzen vorhanden, dann setzt der Niederhalter schnell auf diesen Spitzen auf. Messungen und FE-Simulationen zeigen, daß die feinen Spitzen relativ hohe Kontaktnormalspannungen tragen können, ohne einzuglätten. Selbst der Auftreffimpuls des Niederhalters glättet solche Spitzen kaum ein [190]. Sobald das Blech nach dem Aufsetzen des Niederhalters gleitet, werden die Spitzen durch Reibschubspannungen und Zugspannungen im Grundwerkstoff weiter eingeglättet. Währenddessen muß der Schmierstoff weiter verdrängt werden und trägt einen Teil der Kontaktnormalspannung. Je leerer die Topografie im Bereich der Spitzen ist, desto mehr Schmierstoff muß während der Umformung herausgedrückt werden und desto deutlicher kann dieser Effekt wirken. Daß feine und hohe Spitzen die Reibung senken können, wird in mehreren Untersuchungen bestätigt [80, 89, 125, 130] und kann durch diesen Mechanismus erklärt werden.

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