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2.5.3 Oberflächenkenngrößen

In internationalen Normen und in der Literatur wird eine kaum überschaubare Anzahl von Oberflächenkenngrößen beschrieben. Die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Kenngrößen sind im Anhang in Tabelle 28 aufgeführt. Es ist bekannt, daß nur ein Teil der Kenngrößen nötig wäre, da zwischen ihnen verschiedene Beziehungen bestehen. Mit diesem Kapitel wird eine Klassifizierung der Kenngrößen vorgenommen, um eine Basis für die Auswahl geeigneter Kenngrößen in Kapitel 7.1 zur Verfügung zu stellen.
Man unterscheidet Senkrecht- Waagrecht- und kombinierte Kenngrößen [168, 169]. Bei 3D-Messungen werden zusätzlich flächen- und volumenorientierte Kenngrößen berechnet [172, 173]. Senkrechte Kenngrößen wie Ra (arithmetischer Mittenrauhwert) und Ry (maximale Profilhöhe) beinhalten Informationen über die Tiefe des Profils während mit waagrechten Kenngrößen wie Sm (Mittlerer Abstand der Profilunregelmäßigkeiten) und PC (Spitzenzahl) Abstände und Anzahlen von Spitzen und Tälern beschrieben werden. Beispiele für kombinierte Kenngrößen sind der Profilleeregrad Rp/Rt [64, 144] und das Verhältnis Ry/Ra [130].
Eine weitere Unterscheidung kann hinsichtlich singulärer oder integral ermittelter Kenngrößen erfolgen. Singuläre Kenngrößen wie Ry und Rpk* (Spitzenhöhe) beschreiben für die Funktion wichtige Extremwerte, können aber durch Störungen in der Messung starken Streuungen unterliegen. Integrale Kenngrößen wie Ra und Rq (quadratischer Mittenrauhwert) streuen im allgemeinen nicht so stark, verwischen aber je nach Anwendung mehr oder weniger wichtige Informationen.
Zur Charakterisierung von Blechoberflächen werden in Stahleisen-Prüfblatt SEP 1940 [166, 167] die Oberflächenkenngrößen Mittenrauhwert Ra und Spitzenzahl PC vorgeschrieben. Obwohl diese Kenngrößen nur eine sehr eingeschränkte Beurteilung der Blechoberfläche erlauben und Ra als eine der am wenigsten aussagefähigen Kenngrößen gilt [64, 130, 144, 174], haben sie sich für stochastische Oberflächenstrukturen von Blechen durchgesetzt.
Wie neuere Untersuchungen zeigen, lassen sich deterministische Oberflächen mit diesen Kenngrößen nur unzureichend beschreiben. Als mögliche Erklärungen werden im wesentlichen zwei Gründe genannt.
Bild 9: Modelloberflächen zur Veranschaulichung der Grenzen der 2D-Oberflächenvermessung

Die Möglichkeiten zur Berechnung von Oberflächenkenngrößen lassen sich in 7 Gruppen unterteilen (Bild 10).

Bild 10: Klassifizierung der Oberflächenkenngrößen
Spalte 1: Aus einem senkrechten Schnitt (2D-Tastschnitt) werden direkt Oberflächenkenngrößen berechnet. Die Kenngrößen Ra, Ry, Rz und PC sind Beispiele für diese Gruppe. Der senkrechte Schnitt kann entweder direkt gemessen oder aus einer 3D-Messung berechnet werden.
Spalte 2: Aus dem senkrechten Schnitt werden neue Kurven wie die Materialanteilkurve oder die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion berechnet. Sie beinhalten zusätzliche Informationen, die nicht direkt anhand des gemessenen Profils abzulesen sind. Um diese Informationen zu quantifizieren, müssen die abgeleiteten Kurven mit Kenngrößen beschrieben werden. Entsprechende Kenngrößen zur Beschreibung der Materialanteilkurve, häufig auch als funktionsrelevante Kenngrößen bezeichnet, sind in DIN ISO 13565-2 definiert. Der senkrechte Schnitt kann wie in Spalte 1 entweder direkt gemessen oder aus einer 3D-Messung berechnet werden.
Spalte 3: Die aus der 2D-Meßtechnik bekannten Methoden zur Berechnung von Oberflächenkenngrößen kann man auf 3D-Messungen übertragen. Zur Bezeichnung dieser Kenngrößen verwendet man üblicherweise anstelle des Buchstabens R (roughnes) ein S (surface) mit den entsprechenden Indizes [168]. Beispiele sind die Kenngrößen Sa, St und Sz. Die Schnitte werden nicht einzeln ausgewertet und gemittelt, sondern man berechnet die Kenngrößen an der gesamten Meßfläche. Bei korrekter Filterung stellt diese Methode sicher, daß die Schnitte nicht nur einzeln, sondern auch relativ zu benachbarten Schnitten korrekt ausgerichtet sind.
Spalte 4: Aus 3D-Messungen können die gleichen Kurven wie in Spalte 2 berechnet werden. Beispiele sind die Kenngrößen Sk, Spk und Svk. Wie bei den Kenngrößen in Spalte 3 führt die 3D-Messung dazu, daß die einzelnen Tastschnitte korrekt zueinander ausgerichtet sind. Inwieweit diese Kenngrößen Eigenschaften von Blechoberflächen beschreiben, die mit den 2D-Kenngrößen aus den Spalten 1 und 2 nicht beurteilbar sind, ist unbekannt und wird im Rahmen dieser Arbeit untersucht (Kapitel 8.1).
Spalte 5: An der dreidimensional vermessenen Fläche lassen sich Informationen auswerten, die in einfachen Schnitten nicht enthalten sind. Eine Spitze in einem vertikalen Schnitt kann zufällig eine Spitze der vermessenen Fläche sein, im allgemeinen handelt es sich jedoch um einen Grat, der in der nicht vermessenen Raumrichtung weiter ansteigt oder abfällt. Ob es sich tatsächlich um eine Spitze handelt, kann man nur durch 3D-Messungen beurteilen [142, 168]. Entsprechende echte 3D-Kenngrößen sind in [168] und [175] beschrieben.
Spalte 6: Anhand von 3D-Messungen können, neben den von 2D-Kenngrößen bekannten, zusätzliche Kurven berechnet werden. Der Anteil der abgeschlossenen Leerflächen, in denen sich wie in Kapitel 2.3 beschrieben hydrostatischer Druck aufbaut, läßt sich als Funktion der Durchdringung angeben [176-, 177, 178]. Weitere aus 3D-Messungen berechnete Kurven beschreiben die Anzahl der Spitzen und Täler als Funktion der Durchdringung oder das angular power spectrum als Funktion der Richtung [168]
Spalte 7: Methoden wie Fourier-Analyse, Auto- und Kreuzkorrelationsanalyse nutzt man dazu, aus einer 3D-Messung eine neue Fläche zu berechnen. Sie beinhalten unter anderem Informationen über periodische Anteile der Oberfläche. Es ist jedoch wenig darüber bekannt, wie aus diesen Flächen für die Blechumformung geeignete Kenngrößen abgeleitet werden können [174, 159].

Folgerungen
Echte 3D-Kenngrößen (Spalten 5 bis 7) bieten die Möglichkeit, Eigenschaften von Blechoberflächen zu beschreiben, die von 2D-Kenngrößen nicht erfaßt werden.
Eine 2D-Messung kann eine Blechoberfläche nicht eindeutig beschreiben, da mit ihr die Abgeschlossenheit sowie die Art und Anzahl der Spitzen nicht erfaßt sind. Der Wunsch nach funktionsorientierten Kenngrößen ist mit 2D-Kenngrößen zu erfüllen, wenn die nur von 3D-Oberflächenkenngrößen beschriebenen Merkmale keine nennenswerte Bedeutung für die Funktion der Topografie aufweisen. Ob diese Merkmale für das tribologische Verhalten relevant sind, wird unterschiedlich beurteilt.
Da schon für 2D-Messungen eine kaum überschaubare Anzahl von Kenngrößen existiert und aus 3D-Messungen noch wesentlich mehr Kenngrößen abgeleitet werden können, ist im Fall von 3D-Kenngrößen die an der Funktion und den tribologischen Mechanismen orientierte Auswahl unabdingbar. Da über die wesentlichen tribologischen Mechanismen noch Unklarheit besteht, können die Auswahl und die funktionsorientierte Entwicklung neuer Kenngrößen beim jetzigen Stand der Forschung nur eingeschränkt erfolgen.

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